Die meisten Wissenschaften haben ihre eigene Fachsprache, die sich zwar an vielen Stellen mit der Alltagssprache überschneidet, aber nicht grundsätzlich mit ihr übereinstimmt. Das ist eine so weithin bekannte Tatsache, dass sie längst zum Klischee geworden ist: Mediziner reden (oder schreiben) immer nur lateinisch, Soziologen in langen, gewundenen Sätzen voller Fremdwörter, und Juristen - Juristen reden “bürokratisch”: staubtrocken, pedantisch, langweilig, häufig unverständlich. Einmal abgesehen von der Frage, ob das tatsächlich zutrifft und, wenn ja, ob es unbedingt so sein muss oder ob ein Jurist sich nicht vielleicht auch lebendig und verständlich ausdrücken könnte … - Es gibt tatsächlich bestimmte, geschriebene und vor allem ungeschriebene, Sprachregeln, die die juristische Sprache zu einer Fachsprache machen. (wie im Blog schon an anderer Stelle angesprochen) Diese Regeln führen gerade bei Anfängern oft zu erheblicher Befangenheit, was den Ausdruck betrifft - vulgo, man traut sich kaum noch zu schreiben, wie man denkt, und bastelt immer geschraubtere und immer längere Sätze, die man irgendwann selbst nicht mehr versteht.
Natürlich ist das nicht der gewünschte Effekt; eher sogar das Gegenteil. Trotzdem gibt es manche Einschränkungen, manche Vorgaben, die für einen Juristen durchaus sinnvoll sind und die man berücksichtigen sollte - nicht aus Furcht vor einer Art “juristischen Sprachpolizei”, sondern aus inhaltlichen Gründen. Solche Gründe lassen sich zum Beispiel an den verpönten Ausdrücken “zweifelsohne”, “zweifelsfrei”, “offensichtlich” etc. veranschaulichen.
“Zweifelsfrei” und dergleichen ist etwas, was man in Anfängerklausuren enorm häufig liest. Solche Floskeln können zum einen in der Sachverhaltsdarstellung auftauchen (also - Erinnerung an die “Famous Four” - v.a. in der Fallsubsumtion):
“Offensichtlich war es A, der das Auto von B zerkratzt hat.”
Genauso findet man sie aber auch in den rechtlichen Wertungen:
“Damit hat B sich zweifelsohne wegen versuchten Diebstahls strafbar gemacht.”
Die erste interessante Frage ist nun, was bedeuten solche Zusätze eigentlich? Sie scheinen darauf hinzuweisen, dass ein Sachverhalt oder eine Rechtswertung so klar und eindeutig, so evident ist, dass es eigentlich keiner weiteren Ausführungen bedarf, um sie näher darzulegen. Motto: Das sieht doch ein Blinder mit ‘nem Krückstock … Natürlich gibt es Sachverhaltslagen, die tatsächlich so eindeutig sind, dass es verfehlt wäre, hier viele Worte zu machen; wie etwa in dem an anderer Stelle (juristisch: a.a.O.) gebrachten Beispiel der Tötung eines anderen Menschen. So lange es hier keine Hinweise auf in den Fall verwickelte Aliens, Problematiken des ungeborenen Lebens oder ähnliches gibt, wäre es überflüssig auszuführen, ob und warum Herr XYZ ein anderer “Mensch” ist als Herr ABC, der ihn getötet hat. Auch in diesem Fall könnte man sich nun versucht fühlen zu schreiben:
“XYZ ist OFFENSICHTLICH ein Mensch.”
Aber - und hier ergibt sich nun die zweite interessante Frage - warum sollte man es tun? Was genau möchte man damit eigentlich hier zum Ausdruck bringen?
“XYZ ist OFFENSICHTLICH ein Mensch”, das klingt ein bisschen nach: “Meine Güte, das ist doch wohl klar, was für eine blöde Frage!”
Oder steckt dahinter - die zweite Möglichkeit - vielleicht etwas ganz anderes? Das genaue Gegenteil von dem, was “offensichtlich” ausdrücken will, nämlich - Unsicherheit?
Spinnen wir zur Verdeutlichung das Beispiel des getöteten “anderen Menschen” einmal fort, zu einem Problemfall hin. Nehmen wir an, es ginge um ein ungeborenes Kind. Hier kann die Frage der “menschlichen Qualität” durchaus strittig sein, abhängig von vielen, auch außerrechtlichen Faktoren, wie dem aktuellen Entwicklungsstand des Embryos etc. Die Meinungen gehen zu dieser Frage enorm auseinander, vor allem dort, wo es nicht mehr allein um das Leben des Ungeborenen, sondern gleich noch um seine Menschenwürde geht. Die Frage ist also in der rechtlichen Prüfung - ob ein Totschlag oder gar ein Mord vorliegt - eingehend zu untersuchen, es muss viel für und wider argumentiert werden. Möglicherweise liegt nur eine Haaresbreite zwischen einem “ja” und einem “nein”. Und dann als Ergebnis dieser Schlussatz:
“Bei dem getöteten Embryo handelt es sich zweifelsfrei um einen Menschen im Sinne von §§ XX.”
Nur - gäbe es keine Zweifel, wozu dann die seitenlange Diskussion? Eine Diskussion entsteht doch gerade aus diesen, aus Zweifeln nämlich. Die Tatsache, dass der Bearbeiter am Ende der Diskussion (hoffentlich) zu einem für ihn tragfähigen Ergebnis gekommen ist, beseitigt nicht, sozusagen rückwirkend, die bestehenden Zweifel - vor allem natürlich nicht bei denen, die entgegenstehende Meinungen vertreten. Warum also scheuen so viele Bearbeiter, gerade Anfänger, davor zurück, einfach zu schreiben: “Bei dem getöteten Embryo handelt es sich um einen Menschen im Sinne von §§ XX”? Oder, wenn ein dringendes Bedürfnis zur Relativierung besteht, vielleicht “nach der hier vertretenen Ansicht”?
Die Antwort ist Unsicherheit. Der Bearbeiter hat spätestens im Verlauf der von ihm durchgeführten Argumentation festgestellt, dass es sich bei der Menschlichkeit von Embryonen um eine äußerst komplexe Rechtsfrage handelt. Er hat zwar verschiedene Meinungen gegeneinander abgewogen und sich auch irgendwie zu einer eigenen Stellungnahme durchgerungen - aber er ist sich nicht sicher, ob es die richtige ist, angesichts eines so schwierigen Themas. Und nun tut er, was man in der mündlichen Diskussion auch ganz gern einmal tut, wenn man sich unsicher fühlt: Man spricht besonders laut. Dieses “zweifelsfrei” ist, wenn man so will, eine Art von schriftlichem Schreien. Ein Schreien, dass die durchaus noch vorhandenen Zweifel anderer, aber vor allem auch die eigenen Zweifel übertönen soll. Aber laute Argumente sind nicht besser als leise, sie sind nur lauter. Schlimmer noch: Jedes “zweifelsohne”, jedes “offensichtlich” bewirkt beim erfahrenen Korrektor genau das Gegenteil von dem, was der Bearbeiter sich wünscht, es funktioniert wie ein Hinweisschild auf Zweifel und Unsicherheit, ein Nichtvertrauen in die eigene Argumentation.
Dabei: Wer sagt denn eigentlich, dass jede juristische Diskussion “zweifelsfrei” beendet werden muss? Auf die wirklich komplexen juristischen Fragen gibt es keine einfachen, geradlinigen Antworten; es gibt kein “richtig” oder “falsch” (s. hierzu auch den Beitrag über den Ausdruck “vertretbar”). Zweifel existieren allerorten, und zwar berechtigterweise. Welches Ergebnis der Jurist auch immer erreicht - es ist nie mehr als eine Meinung, eine Ansicht, ein bestimmtes Verständnis der Dinge unter vielen. Und hieran ist auch nichts auszusetzen. Wer das berücksichtigt - wer sich von der Angst und dem Erwartungsdruck frei macht, eine alleinseligmachende Lösung präsentieren zu müssen, die es ohnehin nicht geben kann - der braucht weder “zweifelsohne” noch “offensichtlich”.
Natürlich ist das nicht der gewünschte Effekt; eher sogar das Gegenteil. Trotzdem gibt es manche Einschränkungen, manche Vorgaben, die für einen Juristen durchaus sinnvoll sind und die man berücksichtigen sollte - nicht aus Furcht vor einer Art “juristischen Sprachpolizei”, sondern aus inhaltlichen Gründen. Solche Gründe lassen sich zum Beispiel an den verpönten Ausdrücken “zweifelsohne”, “zweifelsfrei”, “offensichtlich” etc. veranschaulichen.
“Zweifelsfrei” und dergleichen ist etwas, was man in Anfängerklausuren enorm häufig liest. Solche Floskeln können zum einen in der Sachverhaltsdarstellung auftauchen (also - Erinnerung an die “Famous Four” - v.a. in der Fallsubsumtion):
“Offensichtlich war es A, der das Auto von B zerkratzt hat.”
Genauso findet man sie aber auch in den rechtlichen Wertungen:
“Damit hat B sich zweifelsohne wegen versuchten Diebstahls strafbar gemacht.”
Die erste interessante Frage ist nun, was bedeuten solche Zusätze eigentlich? Sie scheinen darauf hinzuweisen, dass ein Sachverhalt oder eine Rechtswertung so klar und eindeutig, so evident ist, dass es eigentlich keiner weiteren Ausführungen bedarf, um sie näher darzulegen. Motto: Das sieht doch ein Blinder mit ‘nem Krückstock … Natürlich gibt es Sachverhaltslagen, die tatsächlich so eindeutig sind, dass es verfehlt wäre, hier viele Worte zu machen; wie etwa in dem an anderer Stelle (juristisch: a.a.O.) gebrachten Beispiel der Tötung eines anderen Menschen. So lange es hier keine Hinweise auf in den Fall verwickelte Aliens, Problematiken des ungeborenen Lebens oder ähnliches gibt, wäre es überflüssig auszuführen, ob und warum Herr XYZ ein anderer “Mensch” ist als Herr ABC, der ihn getötet hat. Auch in diesem Fall könnte man sich nun versucht fühlen zu schreiben:
“XYZ ist OFFENSICHTLICH ein Mensch.”
Aber - und hier ergibt sich nun die zweite interessante Frage - warum sollte man es tun? Was genau möchte man damit eigentlich hier zum Ausdruck bringen?
“XYZ ist OFFENSICHTLICH ein Mensch”, das klingt ein bisschen nach: “Meine Güte, das ist doch wohl klar, was für eine blöde Frage!”
Oder steckt dahinter - die zweite Möglichkeit - vielleicht etwas ganz anderes? Das genaue Gegenteil von dem, was “offensichtlich” ausdrücken will, nämlich - Unsicherheit?
Spinnen wir zur Verdeutlichung das Beispiel des getöteten “anderen Menschen” einmal fort, zu einem Problemfall hin. Nehmen wir an, es ginge um ein ungeborenes Kind. Hier kann die Frage der “menschlichen Qualität” durchaus strittig sein, abhängig von vielen, auch außerrechtlichen Faktoren, wie dem aktuellen Entwicklungsstand des Embryos etc. Die Meinungen gehen zu dieser Frage enorm auseinander, vor allem dort, wo es nicht mehr allein um das Leben des Ungeborenen, sondern gleich noch um seine Menschenwürde geht. Die Frage ist also in der rechtlichen Prüfung - ob ein Totschlag oder gar ein Mord vorliegt - eingehend zu untersuchen, es muss viel für und wider argumentiert werden. Möglicherweise liegt nur eine Haaresbreite zwischen einem “ja” und einem “nein”. Und dann als Ergebnis dieser Schlussatz:
“Bei dem getöteten Embryo handelt es sich zweifelsfrei um einen Menschen im Sinne von §§ XX.”
Nur - gäbe es keine Zweifel, wozu dann die seitenlange Diskussion? Eine Diskussion entsteht doch gerade aus diesen, aus Zweifeln nämlich. Die Tatsache, dass der Bearbeiter am Ende der Diskussion (hoffentlich) zu einem für ihn tragfähigen Ergebnis gekommen ist, beseitigt nicht, sozusagen rückwirkend, die bestehenden Zweifel - vor allem natürlich nicht bei denen, die entgegenstehende Meinungen vertreten. Warum also scheuen so viele Bearbeiter, gerade Anfänger, davor zurück, einfach zu schreiben: “Bei dem getöteten Embryo handelt es sich um einen Menschen im Sinne von §§ XX”? Oder, wenn ein dringendes Bedürfnis zur Relativierung besteht, vielleicht “nach der hier vertretenen Ansicht”?
Die Antwort ist Unsicherheit. Der Bearbeiter hat spätestens im Verlauf der von ihm durchgeführten Argumentation festgestellt, dass es sich bei der Menschlichkeit von Embryonen um eine äußerst komplexe Rechtsfrage handelt. Er hat zwar verschiedene Meinungen gegeneinander abgewogen und sich auch irgendwie zu einer eigenen Stellungnahme durchgerungen - aber er ist sich nicht sicher, ob es die richtige ist, angesichts eines so schwierigen Themas. Und nun tut er, was man in der mündlichen Diskussion auch ganz gern einmal tut, wenn man sich unsicher fühlt: Man spricht besonders laut. Dieses “zweifelsfrei” ist, wenn man so will, eine Art von schriftlichem Schreien. Ein Schreien, dass die durchaus noch vorhandenen Zweifel anderer, aber vor allem auch die eigenen Zweifel übertönen soll. Aber laute Argumente sind nicht besser als leise, sie sind nur lauter. Schlimmer noch: Jedes “zweifelsohne”, jedes “offensichtlich” bewirkt beim erfahrenen Korrektor genau das Gegenteil von dem, was der Bearbeiter sich wünscht, es funktioniert wie ein Hinweisschild auf Zweifel und Unsicherheit, ein Nichtvertrauen in die eigene Argumentation.
Dabei: Wer sagt denn eigentlich, dass jede juristische Diskussion “zweifelsfrei” beendet werden muss? Auf die wirklich komplexen juristischen Fragen gibt es keine einfachen, geradlinigen Antworten; es gibt kein “richtig” oder “falsch” (s. hierzu auch den Beitrag über den Ausdruck “vertretbar”). Zweifel existieren allerorten, und zwar berechtigterweise. Welches Ergebnis der Jurist auch immer erreicht - es ist nie mehr als eine Meinung, eine Ansicht, ein bestimmtes Verständnis der Dinge unter vielen. Und hieran ist auch nichts auszusetzen. Wer das berücksichtigt - wer sich von der Angst und dem Erwartungsdruck frei macht, eine alleinseligmachende Lösung präsentieren zu müssen, die es ohnehin nicht geben kann - der braucht weder “zweifelsohne” noch “offensichtlich”.