Die juristische Arbeit lebt von der Argumentation, von Rede und Widerrede. Das ist für Studienanfänger oder Nichtjuristen, die nur einzelne rechtswissenschaftliche Kurse belegen müssen, zunächst oft überraschend. Man stellt es sich eigentlich ganz anders vor. Einmal scheint es irgendwie seltsam, dass Juristen überhaupt diskutieren – steht denn im Gesetz nicht drin, wie der Fall zu lösen ist? Und selbst wenn es Meinungsverschiedenheiten geben sollte – richte ich mich nicht letzten Endes immer nach der sog. „herrschenden Meinung“ (h.M.)? Wie soll ich als kleiner Studienanfänger denn überhaupt entscheiden können, welche Ansicht von welchem Rechtsgelehrten oder Gericht „die Richtige“ für meine spezielle Rechtsfrage ist?
Der Vorstellung, es stünde „alles im Gesetz drin“, so dass eigentlich weder Notwendigkeit noch Spielraum für größere Diskussionen bestehen dürften, begegnet man in der Welt der Nichtjuristen recht häufig. Auf den ersten Blick erscheint es ja auch eher unwahrscheinlich, dass in einem so umfangreichen Regelwerk wie z.B. dem BGB tatsächlich noch Raum für Unklarheiten offen geblieben sein sollte. Man stellt sich das juristische Arbeiten dementsprechend eher so vor: Rechtsfrage – kurzes Durchspulen der auswendig gelernten einschlägigen Rechtsnormen (notfalls Blick ins Inhaltsverzeichnis) – Aufschlagen des „richtigen“ Paragraphen – Antwort ablesen, fertig. Allerhöchstens kommt noch eine kurze Rückversicherung bei der einschlägigen Judikatur hinzu. Diese Vorstellung hält sich in der Regel exakt so lange, bis die betreffende Person selbst einmal in einen Rechtsstreit verwickelt wird. Bei Jura-Studenten löst sie sich meistens schon im ersten Semester auf, nachdem das vierte oder fünfte Mal in Vorlesung oder Lehrbuch das Wörtchen „strittig“ gefallen ist. Denn strittig – strittig ist in der Juristerei im Grunde genommen alles, was auch nur ansatzweise von Interesse ist.
Die sich an diese Erkenntnis zwangsläufig anschließende Frage ist, wie man mit ihnen umzugehen hat, den „Streitereien“ der Fachgelehrten – an welcher Stelle man sie auf welche Weise unterbringt und was man dann mit ihnen eigentlich anfängt.
Mit Blick auf den schlichten Viersatz der Gutachtentechnik (die „Famous Four“, s. dazu auch an anderer Stelle hier im Blog) ist die Verortung von Streitständen im Gutachten meistens relativ unproblematisch. Weder der Obersatz noch das Ergebnis kommen hierfür in Frage. Der Obersatz beschäftigt sich mit einer konkreten (Fall-)Frage, z.B. „X könnte Y 1.000,- EUR aus Kaufvertrag gemäß § 433 BGB II schulden“ – hierzu kann etwa Prof. Z in seinem Lehrbuch zum Schuldrecht naturgemäß nicht Stellung genommen haben. Im Ergebnis, andererseits, haben offene Fragen nichts mehr verloren, hier sollte nur noch festgestellt werden, was vorher erörtert worden ist. Bleiben also die Schritte 2 und 3, Definition (auch Auslegung, Voraussetzungen) und Subsumtion. Da aber auch die Subsumtion sich mit einem konkreten Sachverhalt befasst, können in ihr Meinungsstreitigkeiten ebenfalls nicht sinnvoll angesprochen werden, jedenfalls nicht erstmalig. Es kann denknotwendig keinen Meinungsstreit darüber geben, ob das Erschlagen von B durch A, während B schlief, einen Mord im Sinne von §§ 212, 211 II 2 StGB darstellt; sondern lediglich darüber, ob – generell! – die Tötung eines Schlafenden als „heimtückisch“ aufzufassen ist oder nicht. Diese abstrakte Frage gehört aber nicht in die Subsumtion, sondern muss bereits vorher, bei der Definition der einzelnen Voraussetzungen – hier: des Mordes – angesprochen werden. Es ist in aller Regel dieser, der zweite, Prüfungsschritt der Gutachtentechnik, in dem Meinungsstreitigkeiten erörtert werden (allerdings kann sich, vor allem bei komplizierten, verschachtelten Prüfungen, gerade im Rahmen eines Meinungsstreits eine Art Wechselspiel zwischen Definition und Subsumtion ergeben).
(Beitrag wird fortgesetzt.)
Der Vorstellung, es stünde „alles im Gesetz drin“, so dass eigentlich weder Notwendigkeit noch Spielraum für größere Diskussionen bestehen dürften, begegnet man in der Welt der Nichtjuristen recht häufig. Auf den ersten Blick erscheint es ja auch eher unwahrscheinlich, dass in einem so umfangreichen Regelwerk wie z.B. dem BGB tatsächlich noch Raum für Unklarheiten offen geblieben sein sollte. Man stellt sich das juristische Arbeiten dementsprechend eher so vor: Rechtsfrage – kurzes Durchspulen der auswendig gelernten einschlägigen Rechtsnormen (notfalls Blick ins Inhaltsverzeichnis) – Aufschlagen des „richtigen“ Paragraphen – Antwort ablesen, fertig. Allerhöchstens kommt noch eine kurze Rückversicherung bei der einschlägigen Judikatur hinzu. Diese Vorstellung hält sich in der Regel exakt so lange, bis die betreffende Person selbst einmal in einen Rechtsstreit verwickelt wird. Bei Jura-Studenten löst sie sich meistens schon im ersten Semester auf, nachdem das vierte oder fünfte Mal in Vorlesung oder Lehrbuch das Wörtchen „strittig“ gefallen ist. Denn strittig – strittig ist in der Juristerei im Grunde genommen alles, was auch nur ansatzweise von Interesse ist.
Die sich an diese Erkenntnis zwangsläufig anschließende Frage ist, wie man mit ihnen umzugehen hat, den „Streitereien“ der Fachgelehrten – an welcher Stelle man sie auf welche Weise unterbringt und was man dann mit ihnen eigentlich anfängt.
Mit Blick auf den schlichten Viersatz der Gutachtentechnik (die „Famous Four“, s. dazu auch an anderer Stelle hier im Blog) ist die Verortung von Streitständen im Gutachten meistens relativ unproblematisch. Weder der Obersatz noch das Ergebnis kommen hierfür in Frage. Der Obersatz beschäftigt sich mit einer konkreten (Fall-)Frage, z.B. „X könnte Y 1.000,- EUR aus Kaufvertrag gemäß § 433 BGB II schulden“ – hierzu kann etwa Prof. Z in seinem Lehrbuch zum Schuldrecht naturgemäß nicht Stellung genommen haben. Im Ergebnis, andererseits, haben offene Fragen nichts mehr verloren, hier sollte nur noch festgestellt werden, was vorher erörtert worden ist. Bleiben also die Schritte 2 und 3, Definition (auch Auslegung, Voraussetzungen) und Subsumtion. Da aber auch die Subsumtion sich mit einem konkreten Sachverhalt befasst, können in ihr Meinungsstreitigkeiten ebenfalls nicht sinnvoll angesprochen werden, jedenfalls nicht erstmalig. Es kann denknotwendig keinen Meinungsstreit darüber geben, ob das Erschlagen von B durch A, während B schlief, einen Mord im Sinne von §§ 212, 211 II 2 StGB darstellt; sondern lediglich darüber, ob – generell! – die Tötung eines Schlafenden als „heimtückisch“ aufzufassen ist oder nicht. Diese abstrakte Frage gehört aber nicht in die Subsumtion, sondern muss bereits vorher, bei der Definition der einzelnen Voraussetzungen – hier: des Mordes – angesprochen werden. Es ist in aller Regel dieser, der zweite, Prüfungsschritt der Gutachtentechnik, in dem Meinungsstreitigkeiten erörtert werden (allerdings kann sich, vor allem bei komplizierten, verschachtelten Prüfungen, gerade im Rahmen eines Meinungsstreits eine Art Wechselspiel zwischen Definition und Subsumtion ergeben).
(Beitrag wird fortgesetzt.)