Donnerstag, 23. Juni 2011

Torture Made in USA - Juristen und Verantwortung

Vor ein paar Tagen lief auf arte der Bericht "Torture Made in USA", der sich mit den Hintergründen der amerikanischen Folterskandale im Irak und Guantanamo Bay auseinandersetzt. Das Ganze liegt inzwischen ja ein paar Jahre zurück, die Welt beschäftigt sich längst mit neuen Problemen. Die öffentlichen Diskussionen, auch in Deutschland, um Verhörmethoden, Geheimgefängnisse und "torture by proxy" mit Zwischenstationen auch auf deutschem Staatsgebiet, sind mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Erst recht, seit viele Menschen genügend Anlässe sehen, sich um ihr eigenes, ganz konkretes physisches Wohlergehen zu sorgen: Stichworte Fukushima und EHEC, um nur die neuesten zu nennen. Man gewinnt so leicht den Eindruck, "diese Foltersachen" wären inzwischen irgendwie geklärt, untersucht, ausreichend behandelt und zu den Akten gelegt. Nichts - und daran erinnert der Bericht - nichts ist weniger der Fall. 

Fokus für Juristen ist vor allem die Figur des John Yoo, Berkeley-Jura-Professor, Rechtsanwalt, von 2001 bis 2003 Beamter im US-Department of Justice's Office of Legal Counsel (OLC). Es waren u.a. seine juristischen Einschätzungen zum Umgang mit "feindlichen Kombattanten" oder "unrechtmäßigen Kombattanten", die damals den rechtlichen Boden für das Vorgehen der Bush-Regierung bereiteten. Seine Memos und Briefe, inzwischen leicht im Internet aufzutreiben, führten später zu Anhörungen im US-Kongress; auch die deutsche Generalbundesanwaltschaft beschäftigte sich auf Betreiben des Rechtsanwalts Wolfgang Kahleck kurzzeitig mit John Yoo. Greifbare Ergebnisse: bislang keine. Noch zu erwartende greifbare Ergebnisse, in den USA, in Deutschland oder anderswo: ???

John Yoo lehrt weiterhin in Berkeley, unter anderem amerikanisches Verfassungsrecht und Völkerrecht, veröffentlicht Monographien wie War by Other Means: An Insider's Account of the War on Terror (Grove/Atlantic 2006). Die Rechtsansichten, die er vertritt, grassieren längst auch in juristischen Fachpublikationen. So sieht sich z.B. die Wissenschaft im Bereich Humanitäres Völkerrecht gezwungen, über den "unrechtmäßigen Kombattanten" zu diskutieren, der angeblich zwischen allen Rechtsregimen stehen und so weder als Kombattant noch als Zivilist, weder vom Humanitären Völkerrecht noch von grundlegenden Menschenrechten, geschützt sein soll. Eine uralte Rechtsfigur, übrigens, die aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammt und sich auf gegnerische Spione bezog. Längst überwunden geglaubte Fragestellungen tauchen so aus den Nebeln der Zeit wieder auf und präsentieren sich im scheinbar modernen Gewand.

Für junge Juristen, gerade erst auf dem Weg ins Berufsleben, stellt sich hier vor allem eine Frage: Wenn es doch in der Rechtswissenschaft ohnehin kaum jemals ein klares "Richtig" oder "Falsch" gibt - wenn im Prinzip alles "vertretbar" ist, solange nur sauber begründet und hergeleitet - welche Verantwortung trägt dann ein Jurist, der Gutachten abgibt, die zu bestimmten Vorgehensweisen in der realen Welt führen? Oder, anders gefragt: Wenn die Ergebnisse einer rechtlichen Einschätzung mehr oder weniger beliebig sind, was spricht dann dagegen, Einschätzungen abzugeben, die beispielsweise bestimmten politischen Wünschen entsprechen? Zumal, wenn der, der diese Wünsche äußert, der eigene Arbeitgeber ist?

Um auf das Humanitäre Völkerrecht zurückzukommen: Es ist eben immer alles Auslegungssache, nicht wahr? Nirgendwo steht explizit und über jeden Zweifel erhaben geschrieben, dass das Regime des Humanitären Völkerrechts keine "Lücken" zwischen Kombattanten- und Zivilistenstatus enthält. Man kann dies zwar aus verschiedenen Bestimmungen unproblematisch herleiten, und die überwiegende Meinung in der Literatur tut das auch weiterhin. Aber natürlich ist niemand an eine bestimmte Auslegung gebunden, nur, weil sie immer so stattgefunden hat. Und selbst die deutlichsten Bestimmungen lassen sich in der Regel auch irgendwie anders interpretieren.

Auch die Folter ist ein wunderbares Beispiel dafür. Deutschland hat Diskussionen um ihre Definition zuletzt anhand des Falls Gaefgen erlebt (hier v.a. bezogen auf Art. 1 I GG). Die UN-Antifolterkonvention beschreibt Folter als

jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind. [Art. 1 I].

Alles klar? Oder doch irgendwie nicht? Mal ganz platt gefragt: Was sind "große" Schmerzen und Leiden? Und wenn nur solche "großen Schmerzen oder Leiden" als Folter unzulässig sind, die sich nicht "lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind" - nun, wie wär's, wenn man einfach die nötigen Gesetze erlässt? Wenn's doch dem größeren Wohle dient - irgendwie? Und schließlich: Besteht denn die Aufgabe des Juristen nicht ausschließlich darin, die rein rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen? Was sonst sollte man noch von ihm verlangen können? Und wenn die rechtlichen Möglichkeiten gegeben sind, beispielsweise entsprechende Gesetze einzuführen - welche Verantwortung sollte dann den Juristen treffen, der diese Möglichkeiten ausfindig gemacht hat? 

Der Jurist macht nur seine Arbeit. Er ist nur ein kleiner (oder größerer) Beamter. Er erlässt die politischen Leitlinien nicht, er orientiert sich ggf. nur an ihnen. Woran auch sonst, wenn Vertragsbestimmungen und Gesetze sich auf "vertretbare" Weise in fast jede beliebige Richtung biegen lassen? An den ethischen Grundsätzen, die irgendwann, in grauer Vorzeit vielleicht, einmal Grundlage für jene Normen, jene Vertragsbestimmungen waren? Stehen ja nicht da. Höchstens in der Präambel oder irgendwelchen Gründen, aber wer liest die schon. Sind ja nicht justiziabel. Prüfung beendet, Pluszeichen dahinter. Abhaken, nächster Fall.

Ein recht bekannter Beamter und Soldat hat einmal gesagt:

"Meine Schuld [und man müsste hier ergänzen: meine einzige Schuld] ist mein Gehorsam. Meine Unterwerfung unter Dienstpflicht und Kriegsdienstverpflichtung, unter Fahneneid und Diensteid. Die Führerschicht, zu der ich nicht gehörte, hat die Befehle gegeben."

Nein, John Yoo war es nicht (obwohl ein anderer Verantwortlicher der US-Regierung in den Kongressanhörungen durchaus zu dieser Argumentationslinie Zuflucht nahm und sich selbst als "kleinen Beamten" beschrieb). Es war Adolf Eichmann. Sein Prozess in Jerusalem feiert gerade Jubiläum; vielleicht eine gute Gelegenheit, nochmal einiges nachzulesen ... Aber natürlich ist John Yoo nicht Adolf Eichmann. John Yoo ist Jurist. Er ist kein Massenmörder. Er hat niemanden getötet, er hat auch die Praktiken, die er für möglich hält, auf niemanden persönlich angewendet. Im übrigen hätte er, um zu einer solchen Aussage zu kommen, ja zuerst einmal etwas wie Schuld empfinden - oder vorgeben - müssen. Aber es trifft ihn ja keine, nicht wahr? Er hat nur seine Arbeit gemacht. Er hat getan, was Juristen tun, Möglichkeiten gesucht und gefunden. Und abgehakt - und nächster Fall.

Der Jurist ist es, der sagt, was richtig und was falsch sein soll. Aber - wer sagt es dem Juristen?