Donnerstag, 16. Juni 2011

Wer braucht schon Ethik, wenn er Paragraphen hat ...?

Vor einer Weile ein interessanter kleiner Artikel bei Spiegel online: Business Schools wollen nach dem Finanzdesaster verstärkt Ethik-Kurse für ihre Studierenden einführen. Selbst einen “Manager-Eid” soll es schon geben, der u.a. auf die Wahrung der Menschenrechte verpflichtet.

Eher putzig, so auf den ersten Blick. Man spürt wohl einen gewissen Handlungsdruck, der abermehr von außen als von innen zu kommen scheint.
Die Juristen sind bisher noch nicht so sehr ins Fadenkreuz geraten, was ethisches Verhalten im Berufsalltag betrifft. Dabei ist es nicht gerade so, dass wir uns vertiefter damit befassen würden, als es die Kollegen Wirtschaftler tun. Die meisten erinnern sich wahrscheinlich eher vage an Grundlagenvorlesungen zum Thema Rechtsphilosophie und / oder Rechtsgeschichte, in denen gelegentlich von den Beziehungen zwischen Recht und Moral, Recht und Gerechtigkeit die Rede war … Näher beschäftigen musste man sich damit in der Regel nicht. Wer braucht schon Ethik, wenn er Paragraphen hat, die alles Relevante ja wunderbar in mundgerechte Häppchen zerteilen?  Und da nicht nur jeder Jurist, sondern auch jeder Laie weiß: Recht ist nicht gleich Gerechtigkeit - weshalb unnütze Überlegungen anstellen?

Andererseits …  Manchmal sind sie vielleicht nicht ganz so unnütz. Manchmal gibt es Situationen, ob in der Vorlesung oder im echten Leben, in denen nach erfolgreicher Fallbearbeitung ein vages, seltsam schales Gefühl zurückbleibt. Natürlich, die Rechtslage ist klar, die Paragraphenkette lücken- und makellos. Aber irgendwie … an irgendeiner Stelle … ist vielleicht doch nicht alles angesprochen worden, was ansprechenswert gewesen wäre. Weil es nicht im Prüfungsschema vorkam. Weil es nicht auf der Kurzkarteikarte stand, oder im Praxiskommentar. Das Gefühl bleibt vage, nicht recht greifbar - nirgendwo ein Hinweis, ein Paragraphenschnörkel, an dem man es aufhängen könnte - und was aus den Grundlagenvorlesungen hängengeblieben ist, ist vor allem das Wort “Digestenexegese”, das einen leichten Gruselschauer erzeugt und sonst nicht viel. Unbehaglich, die Situation, in der einen der innere Laie mit großen Augen anstarrt und murmelt: “Aber das … das ist doch nicht gerecht …” Am Ende muss man ihm eins auf die Nase geben und sich zusammenreißen. Der nächste Fall, die nächste Übungsstunde warten schon.

Nur eine kleine Erinnerung: Nicht alle, die große Summen hin und her bewegen und Weltwirtschaften damit in Abgründe schieben, sind Wirtschaftsmenschen. Konzerne haben Juristen. Banken haben Juristen. Juristen sitzen in Geschäftsführungen und Vorständen. Eigentlich eine gute Position, um bei Gelegenheit auf gewisse ethische Problematiken hinzuweisen, die sich vielleicht nicht unmittelbar aus den Gesetzen herleiten lassen, trotzdem aber nicht ganz irrelevant sein könnten … Aber leider, das einzige, was einfällt, ist “Digestenexegese” (*schauder*). Und weiter zum nächsten Fall.