Donnerstag, 16. Juni 2011

Feuervogels lange Schatten. “Erinnern und handeln” zur Bombardierung Dresdens 1945 - aber wie?

Es gibt Tage, da rückt die Vergangenheit ungewohnt nahe. Tage, an denen ein Blick aus dem Fenster eine Verbindung knüpfen kann, über Jahre, Jahrzehnte hinweg. Die Wintersonne glänzt freundlich auf der Schale des Frühstückseis, der Kaffee duftet wie ein Gruß aus der Kindheit; aber unten auf der Straße sammeln sich Menschen, und hinter ihnen tun sich schwarze Löcher auf im Boden der Zeit. Löcher, die sonst nicht zu sehen sind. Die direkt hinunter führen in dunkelste Regionen. Und die den Blick anziehen, ob man es will oder nicht.
Vor ein paar Monaten ist wieder ein solcher Tag vorbeigegangen, der 27. Januar: Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee 1945. Politik und Verbände haben die Abgründe unter unseren Füßen mühsam mit gutgemeinten, ewig gleichen Worten zugedeckt; aber die Vergangenheit will nicht zur Ruhe kommen. Ein neuer Monat, ein neues Datum unter so vielen, die erinnerungswürdig sind: 13. Februar 1945, Beginn des alliierten Flächenbombardements von Dresden. Tod, Zerstörung, schwarzrot brennende Nächte. Eingebettet und untrennbar verbunden mit noch mehr Tod, noch mehr Vernichtung.

Wie gehen wir mit diesen Daten um? Und wie erlauben wir anderen, damit umzugehen?

Unter dem Motto “erinnern und handeln” ruft die Stadt Dresden 2010 zu einer Menschenkette auf. Diese Menschenkette soll  u.a. “vor dem Eindringen Rechtsextremer schützen” (Zitat Website der Stadt zum 13. Februar). Schutzbedürftig fühlt sich die Stadt wegen des alljährlichen “Trauermarschs” zum selben Datum, veranstaltet heuer von der “Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland”, die der sog. “rechten Szene” zuzuordnen ist. Den Betreibern von “Dresden nazifrei” wiederum reicht eine Menschenkette nicht aus; diese Vereinigung plant Massenblockaden gegen die Veranstaltung der JLO. Die Dresdner Staatsanwaltschaft sieht in den Aufrufen zu diesen Massenblockaden potentiell strafbare Handlungen nach § 111 StGB, und zwar vor allem wegen des Versammlungsgesetzes:

§ 21 SächsVersG (in Kraft seit 26. Januar 2010)
Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 Das Gesetz enthält daneben, wie auch z.B. das bayerische Versammlungsgesetz, die Möglichkeit, Aufmärsche zu bestimmten historischen Daten an besonders geschützten Orten generell zu untersagen. Das Versammlungsrecht ist erst mit der Föderalismusreform zur Ländersache geworden, insofern sind derartige Regelungen noch relatives Neuland und rechtlich nicht unproblematisch (Google-Empfehlung: Bayern-Versammlungsgesetz-BVerfG; interessant und vergnüglich auch die Feststellungen von Prof. Rozek - Uni Leipzig - zur fehlenden Zuständigkeitsregelung im SächsVersG sowie die darauffolgende Nachbesserung des Gesetzes). Denn wie steht es demgegenüber mit der Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG?
Also: Alle erinnern, marschieren, demonstrieren lassen, ohne Ansehen der dahinter stehenden politischen Ausrichtung? Oder alles verbieten? Alles erlauben, aber zu Gegenveranstaltungen aufrufen? Die Gegenveranstaltungen verbieten?Gibt es überhaupt eine "richtige" und / oder eine "rechtmäßige" Art des Umgangs mit solchen Daten? Oder gibt es am Ende nur das, was in den Köpfen der Menschen ist und was sich durch Recht von außen weder in die eine noch in die andere Richtung beeinflussen lässt?